Friday, December 9, 2016

Klingsohrs Märchen

Detail from Philipp Otto Runge’s Die Nacht (from the suite Die Vier Tageszeiten [Die Zeiten])
Der König umarmte seine Tochter mit Zärtlichkeit. Die Geister der Gestirne stellten sich um den Thron, und der Held nahm in der Reihe seinen Platz ein. Eine unzählige Menge Sterne füllten den Saal in zierlichen Gruppen. Die Dienerinnen brachten einen Tisch und ein Kästchen, worin eine Menge Blätter lagen, auf denen heilige tiefsinnige Zeichen standen, die aus lauter Sternbildern zusammengesetzt waren. Der König küßte ehrfurchtsvoll diese Blätter, mischte sie sorgfältig untereinander, und reichte seiner Tochter einige zu. Die andern behielt er für sich. Die Prinzessin zog sie nach der Reihe heraus und legte sie auf den Tisch, dann betrachtete der König die seinigen genau, und wählte mit vielem Nachdenken, ehe er eins dazu hinlegte. Zuweilen schien er gezwungen zu sein, dies oder jenes Blatt zu wählen. Oft aber sah man ihm die Freude an, wenn er durch ein gutgetroffenes Blatt eine schöne Harmonie der Zeichen und Figuren legen konnte. Wie das Spiel anfing, sah man an allen Umstehenden Zeichen der lebhaftesten Teilnahme, und die sonderbarsten Mienen und Gebärden, gleichsam als hätte jeder ein unsichtbares Werkzeug in Händen, womit er eifrig arbeite. Zugleich ließ sich eine sanfte, aber tief bewegende Musik in der Luft hören, die von den im Saale sich wunderlich durcheinander schlingenden Sternen, und den übrigen sonderbaren Bewegungen zu entstehen schien. Die Sterne schwangen sich, bald langsam bald schnell, in beständig veränderten Linien umher, und bildeten, nach dem Gange der Musik, die Figuren der Blätter auf das kunstreichste nach. Die Musik wechselte, wie die Bilder auf dem Tische, unaufhörlich, und so wunderlich und hart auch die Übergänge nicht selten waren, so schien doch nur ein einfaches Thema das Ganze zu verbinden. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit flogen die Sterne den Bildern nach. Sie waren in einer großen Verschlingung, bald wieder in einzelne Haufen schön geordnet, bald zerstäubte der lange Zug, wie ein Strahl, in unzählige Funken, bald kam durch immer wachsende kleinere Kreise und Muster wieder eine große, überraschende Figur zum Vorschein.

The king embraced his daughter tenderly. The spirits of the stars stood around the throne, and the hero took his place among them. A countless number of stars filled the room in graceful clusters. The servants brought out a table and a box, in which lay many cards, with holy, solemn signs composed of nothing but star constellations. The King kissed these cards with great devotion, shuffled them carefully, and gave some to his daughter. He kept the others for himself. The princess drew cards from her hand and laid them on the table. Then the king looked closely at his, and chose thoughtfully, as he laid each one before him. At times, he seemed to be forced to choose this or that card. Mostly, however, he experienced the pleasure of laying down a beautiful harmony of signs and figures in a careful arrangement all his own. At the beginning of the game, the most striking signs, with the liveliest appearance, were seen, the stars making the oddest faces and gestures, as though each had an invisible instrument in his hands, which he was eager to use. At the same time, a gentle but deeply stirring music could be heard in the air, which seemed to arise from the stars themselves as they whirled wonderfully about the hall with their strange movements. They swayed all about, first slowly and then rapidly, in constantly changing lines, and, following the progression of music, formed the figures of the cards in a most artistic manner. The music changed with the changing pictures on the table, and odd and abrupt transitions occurred frequently, though a common theme seemed to unify the whole. With unbelievable ease, the stars flew together, replicating the images. They were beautifully arranged in a great skein, and sometimes in individual clusters; now a long train scattered into countless sparks like a ray; but soon enough, the ever-growing smaller circles and patterns once again formed a great and surprising figure.                         
                                                                                          --Novalis, Heinrich von Ofterdingen

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